Serbien - England

So wird England kein Europameister

Im ersten Spiel des Topfavoriten England konnten sie nur phasenweise überzeugen. Mit einer doch sehr defensiven Spielweise und wenigen zündenden Ideen im Spiel nach vorne hätte Serbien die Engländer durchaus ärgern können. Nach einem schwachen Testspiel gegen Island und Diskussionen um die EM-Kader-Nominierung, blickten vor dem ersten Gruppenspiel der „Three Lions“ gegen Serbien alle gespannt auf die Aufstellung von Gareth Southgate. Die Antwort: Anders als bei der Niederlage gegen Island setzte Southgate in seinem 4-2-3-1-System auf mehr Freiheiten in der individuellen Taktik. Besonders Jude Bellingham, der Hoffnungsträger der Nation, glänzte im Spielaufbau, indem er aus dem Zehnerraum vor die Viererkette abkippte. Auch in der Defensive nahm Southgate Anpassungen vor: Aus dem 4-2-3-1 wurde ein 4-1-4-1-System, das sich sehr an der Spielweise des Gegners orientierte.

 

Englands Mannorientierung im Zentrum 

Beide Mannschaften schlossen im Spielaufbau den Raum im Zentrum geschickt. Serbien positionierte zu Beginn des Spiels die Flügelspieler Kostic und Zivkovic so hoch, dass sie von den Innenverteidigern nicht direkt angespielt werden konnten. Southgates Idee dahinter war es, den Ball von den Innenverteidigern auf den 6er im Zentrum zuzulassen. Wurde dieser angespielt, konnten sie ihm direkt Druck im Rücken geben und er hatte keine andere Option, als den Ball zum Innenverteidiger  zurück klatschen zu lassen. Der Sechser wurde also als Pressingopfer auserkoren. 

Diese Taktik war Serbien aus der EM-Qualifikation bekannt, wo sie dadurch oft in Unterzahlsituationen gerieten. England agierte im Zentrum sehr mannorientiert, auch bei viel Bewegung der Gegenspieler: Der abkippende Mitrovic wurde von Alexander-Arnold oder Rice gedeckt, und Milinkovic-Savic konnte sich selten in tiefere Positionen fallen lassen, um am Spielaufbau teilzunehmen. Wurde die Manndeckung durch Tief-Entgegen-Bewegungen überspielt, konnte Serbien gefährlich hinter das Mittelfeld der Engländer kommen. 

 

Andribbelnde Innenverteidiger stellen England vor Probleme

Serbiens Plan, über abkippende Sechser und deren Aufdrehbewegungen die Flügel zu erreichen, scheiterte an Englands Zweikampfstärke und Präsenz in diesen Räumen. Oft konnten die serbischen Spieler nur den Ball zurück klatschen lassen, ohne Raum für kreative Aktionen zu haben. Vor allem die Schienenspieler Kostic und Zivkovic, die den Raum und Blick zum gegnerischen Tor benötigen, konnten sich kaum entfalten und ihre Stärken in das Spiel der Serben einbringen. Mitrovic, der sonst durch schnelle Seitenwechsel das Spiel beschleunigt, stand unter besonderer Deckung der Innenverteidiger oder des Sechsers. Ein Locken des Pressings über Seitenverlagerungen gelang selten, da Harry Kane die Verbindung zwischen den Innenverteidigern kappte und Torhüter Rajkovic oft zum Befreiungsschlag gezwungen war. 

In einer Trinkpause wies Dragan Stojkovic seine Innenverteidiger an, mutig auf den Mittelfeldblock der Engländer zu dribbeln und so in das zweite Drittel zu gelangen. Dies führte zu typischen Flügelüberladungen und eröffnete Serbien mehr Raum im Aufbau. Englands Pressing verlor an Intensität und Zugriff, wodurch Serbien immer wieder Räume nutzen konnte. Das Spiel entwickelte durch Serbiens neues System eine Eigendynamik. England hatte Schwierigkeiten, sich gegen die andribbelnden Innenverteidiger richtig zu positionieren, was zu Fehlentscheidungen und -positionierungen einzelner Spieler führte. Die Unterbesetzung der defensiven Halbräume im 4-2-3-1 nutzte Serbien für ihre Angriffe. Ein Pluspunkt für England war jedoch die Verteidigung der Box und der Flanken. 

Durch die Einwechslung von Ilic zur zweiten Halbzeit erhöhte Serbien die Ballsicherheit. Ilic integrierte sich in die Viererkette und beschleunigte das Spiel durch flache Seitenverlagerungen, was Kostic und Mitrovic neue Möglichkeiten eröffnete. England wurde durch eine einfache taktische Umstellung bereits von Serbien (ohne dies abwertend zu meinen) vor Probleme gestellt und fand nur wenige Lösungen dagegen. Es wird spannend zu sehen, ob Southgate an dieser defensiven Mittelfeldpressing-Idee festhält oder mit seinem Spielerpersonal den Mut ergreift, den Ball hoch zu gewinnen. 

 

Englands Offensivspiel

Southgates Ansatz zeigte sich in einer flexiblen Spieleröffnung. Vorherige Matches waren durch einfache Kombinationen zwischen den Außenverteidiger und den Flügelspielern geprägt, doch diesmal gab es mehr Bewegung und Rotationen, besonders durch Bellingham, der immer wieder abkippte. Dies erzeugte eine Überzahl im Sechserraum, die für Angriffe genutzt wurde. Alexander-Arnold blockierte oft die Anspielstationen der Serben, insbesondere den Außenverteidiger, wodurch der Spielaufbau Serbiens erschwert wurde. Serbien positionierte sich tiefer, um den Raum für die englischen Flügelspieler zu minimieren. Im Laufduell hätten die serbischen Verteidiger wohl vor allem gegen Saka das Nachsehen gehabt. England hätte dies noch viel mehr forcieren müssen. Über einen abkippenden Sechser im rechten Halbraum gab es 1-2 mal die Möglichkeit, Saka zu bedienen und ihn in ein 1 vs. 1 auf dem Flügel zu schicken. 

Die aggressive Zweikampfführung der Serben verhinderte zum einen klare Torchancen und zum anderen, dass Harry Kane Bezug zum Spiel fand. In der ersten Halbzeit hatte der Stürmer des FC Bayern München nur 1 (!) Ballkontakt. Auch in der zweiten Halbzeit verteidigten die serbischen Innenverteidiger sehr eng und England konnte ihn kaum einbinden. Lediglich einmal wurde Kane gefährlich, als er nach einer Flanke den Kopfball zu zentral setzte und der serbische Schlussmann den Abschluss noch an die Latte lenken konnte. 

 

Fehlende Konter

Englands Anfälligkeit nach Ballverlusten war wieder sichtbar. Oft schoben die Außenverteidiger und ein Mittelfeldspieler mit zum Angriff, was zu großen Räumen zwischen den Linien führte. Das Gegenpressing war weniger intensiv und das Hinter-den-Ball-Kommen disziplinierter. Serbien nutzte diese Schwächen selten, da die Offensivspieler tief standen und Befreiungsschläge oft wieder bei England landeten. Lange Bälle wurden erst in der zweiten Halbzeit häufiger gespielt. Durch startende Schienenspieler, die Situationen frühzeitig erkennen, können hier andere Mannschaften durchaus Potential ausschöpfen. Auch durch Verlagerungen auf die ballferne Achter Position kann England vor Probleme gestellt werden. 

 

Im ersten Gruppenspiel der Europameisterschaft zeigte England eine durchwachsene Leistung gegen Serbien. Trotz taktischer Anpassungen und einer defensiv stabilen Ausrichtung fehlte es den „Three Lions“ an durchschlagenden Offensivideen. Serbien konnte mit mutigen Umstellungen und andribbelnden Innenverteidigern phasenweise gefährlich werden und die Engländer vor Probleme stellen. Besonders die defensive Mannorientierung Englands im Zentrum und die fehlende Intensität im Pressing offenbarten Schwächen, die Serbien jedoch nicht konsequent genug nutzen konnte. Während England durch eine starke Verteidigung der Box und durch das Unvermögen Serbiens im letzten Drittel den Sieg rettete, bleibt klar, dass für den Titelgewinn eine deutliche Leistungssteigerung notwendig ist. Serbien hingegen muss im nächsten Spiel gegen Slowenien dringend punkten, um weiter im Turnier zu bleiben, während England gegen Dänemark vor einer härteren Prüfung steht.

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