Die Einführung des Video Assistant Referees (VAR) sollte dem Fußball mehr Gerechtigkeit verleihen und die Schiedsrichter bei kniffligen Entscheidungen unterstützen. Doch nach mittlerweile mehreren Spielzeiten bleibt der VAR ein heiß diskutiertes Thema, das die Fußballwelt spaltet. Dies zeigt sich auch in der neuen Bundesliga-Saison, in der bereits zwei kontroverse Elfmetersituationen für Unmut sorgten.
Im Eröffnungsspiel zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach wurde nach einem Zweikampf zwischen Amine Adli und Ko Itakura ein Elfmeter für Gladbach verhängt. Viele sahen die Entscheidung als fragwürdig an, auch nach Überprüfung durch den VAR. Wenig später im Heimspiel des FC Bayern München gegen den SC Freiburg wurde erneut die Diskussion entfacht: Ein vermeintliches Handspiel von Max Rosenfelder führte zu einem Strafstoß für die Bayern, obwohl der Ball den Arm nur leicht berührt zu haben schien. Diese beiden Szenen sind sinnbildlich für das Grundproblem des VAR: Die Unklarheit darüber, wann und wie genau eingegriffen werden sollte, bleibt bestehen.
Die Kritik: Keine echte Fairness und Verlust von Emotionen
Immer lauter werden die Stimmen, die den VAR als überflüssig erachten. Kritiker argumentieren, dass der VAR nicht wie beabsichtigt für größere Fairness sorge, sondern oft das Gegenteil bewirke. Zu oft würden die Entscheidungen trotz technischer Überprüfung falsch ausfallen. Dieses wiederholte Eingreifen trübe die Zuschauererfahrung und die Emotionalität des Spiels erheblich. Fußball lebt von seinen spontanen Höhepunkten – den Torjubel nach einem Treffer, den spannungsgeladenen Moment eines Elfmeters oder die aufgeladene Atmosphäre nach einer roten Karte. Doch der VAR nimmt dem Spiel diese Augenblicke. Sobald ein Tor fällt, blickt jeder zunächst ängstlich auf den Schiedsrichter, in der Erwartung, dass die Szene erneut geprüft und womöglich der Treffer aberkannt wird. Dieses ständige Warten auf die endgültige Entscheidung führt bei vielen Fans und Spielern zu Frustration.
Für viele stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist der VAR noch sinnvoll, wenn er den Zuschauern die Freude und den unmittelbaren Genuss des Spiels raubt? Kritiker gehen sogar so weit, zu fordern, den VAR gänzlich abzuschaffen, um dem Fußball seine Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit zurückzugeben.
Der Vorschlag zur Anpassung: Das Challenge-System als Alternative?
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Befürworter des VAR, die jedoch für eine Anpassung des Systems plädieren. Ein Blick in andere Sportarten zeigt, dass ähnliche Techniken seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt werden. Im American Football etwa hat der Trainer die Möglichkeit, zweimal pro Spiel eine sogenannte "Challenge" einzulegen, um eine Schiedsrichterentscheidung zu überprüfen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn das Team noch eine Auszeit zur Verfügung hat – diese dient quasi als Einsatz für die Challenge. Liegt der Trainer mit seiner Forderung nach einer Überprüfung falsch, verliert er die Auszeit. Fordert er die Überprüfung dennoch, obwohl keine Auszeiten mehr vorhanden sind, wird das Team mit einer 15-Yard-Strafe belegt.
Ein vergleichbares System im Fußball könnte die Trainer der Mannschaften in die Verantwortung nehmen, den VAR gezielt und kontrolliert einzusetzen. Die Trainer könnten in kritischen Momenten eine Challenge einlegen, woraufhin der VAR aktiviert wird. Wird die Entscheidung des Schiedsrichters daraufhin korrigiert, behält der Trainer seine Challenge. Bleibt die Entscheidung jedoch bestehen, verfällt die Challenge. Diese Anpassung des VAR-Systems würde den unkontrollierten Eingriff des Videoassistenten verhindern und den Einsatz technischer Überprüfung stärker reglementieren.
Mögliche Probleme eines Challenge-Systems im Fußball
So fair und durchdacht das Challenge-System auf den ersten Blick erscheinen mag, stellen sich bei genauerer Betrachtung einige erhebliche Probleme. Die Entscheidung, wann eine Challenge genutzt wird, liegt beim Trainer, was das Spielgeschehen zusätzlich emotionalisieren könnte. Ein Trainer, der ohnehin schon unter dem Druck steht, das Spiel zu lenken und taktische Anpassungen vorzunehmen, müsste nun auch entscheiden, ob eine Schiedsrichterentscheidung infrage gestellt werden sollte. Diese Entscheidung könnte von Emotionen geprägt sein und weniger von rationaler Analyse. Man stelle sich einen aufgebrachten Jürgen Klopp oder einen leidenschaftlichen Diego Simeone vor, die in der Hitze des Gefechts über eine Challenge entscheiden müssen – die Gefahr von Fehlentscheidungen wäre hoch.
Auch die Frage, wie die Öffentlichkeit auf das neue System reagieren würde, muss bedacht werden. Eine abgelehnte Challenge könnte nicht nur zu Frust bei den Spielern führen, sondern auch zu erhitzten Diskussionen in der Nachbetrachtung. Ein Team, das seine Challenge verliert und dadurch die Möglichkeit auf eine spätere Überprüfung einer womöglich klaren Fehlentscheidung verwehrt bleibt, würde den VAR möglicherweise noch kritischer sehen. Es ist abzusehen, dass eine solche Regelung zu noch intensiveren öffentlichen Diskussionen über die Rolle des VAR führen würde.
Der innere Antrieb des Fußballs: Fairness als oberstes Gebot
Im Kern strebt der Sport – insbesondere der Fußball – nach Fairness. Doch der Versuch, dieses Ideal durch technische Mittel wie den VAR zu verwirklichen, zeigt sich als zweischneidiges Schwert. Einerseits kann der VAR klare Fehlentscheidungen aufklären, die den Ausgang eines Spiels stark beeinflussen könnten. Andererseits scheint das System in seiner aktuellen Form noch nicht die gewünschte Effizienz zu bieten. Die Einführung eines Challenge-Systems könnte eine Möglichkeit sein, das Verhältnis von Emotion und Fairness im Fußball neu auszubalancieren. Doch es bleibt die Frage, ob es den gewünschten Effekt erzielen würde oder ob die damit verbundenen Probleme den Sport weiter verkomplizieren und emotionalisieren.
Fest steht: Der VAR bleibt ein Werkzeug, das den Fußball verändern soll, aber gleichzeitig auch dessen Essenz infrage stellt. Die Diskussion wird weitergehen, und es wird spannend zu beobachten sein, welche Lösung am Ende gefunden wird – eine völlige Abschaffung, eine Anpassung oder eine Verbesserung des bestehenden Systems. Klar ist jedoch: Der Weg zu einer gerechten Lösung im Sinne des Fußballs ist noch lange nicht zu Ende.
©Urheberrecht. Alle Rechte vorbehalten.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.